Nikan im Dauerstress

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Vom ausgeglichenen Aussie zum Leinenrambo.

Ich weiß nicht mehr genau, wann es begann. Nur eines wurde mir immer deutlicher, sprich Nikan entwickelte sich zum Leinenrambo. Sobald er etwas Interessantes in der Nase hatte, wollte er der Spur folgen. Manchmal geschah dies mit einem heftigen Ruck, der mir Schmerzen in der Schulter bereitete. Ging ich mal mit einer Bekannten spazieren, nahm das Ziehen an der Leine enorm zu. Lange dachte ich, es würde mit dieser Person zusammenhängen, da er nun durch die Unterhaltung mit dieser Person weniger Aufmerksam von mir erhielt. Dass Nikan im Dauerstress war, wusste ich damals bisher nicht. 

Hundebegegnungen entwickelten sich zum Spießrutenlauf

Nikan ist kein Hund, der pöbelt, andere Hunde verbellt oder Ähnliches. Nein. Und da war ich schon immer sehr stolz darauf.  Jedoch trafen wir auf andere Hunde, zog er in ihre Richtung oder er setzte sich hin, bis Hund und Halter vorbeigelaufen waren.

Besonders nervenzerfetzend war folgende Situation: Hat er einmal bemerkt, dass hinter uns ein Hund läuft, dann war ein Weiterlaufen nicht mehr möglich. Zu Beginn probierte ich es mit allen möglichen Tricks. Mit besonderen Leckerlis, mit Spielen u. v. m. keine Chance. Irgendwann blieb mir nur noch übrig, Nikan hinter mir herzuziehen. Dabei stellte er sich auf seine Hinterbeine und hüpfte widerwillig rückwärts mit mir. 

Für andere Passanten ein Bild für Götter, doch für mich war es einfach nur peinlich. Auch hier war ich im Glauben, dass Nikan unbedingt Kontakt zu dem fremden Hund wollte.

Was war der Grund für sein Verhalten?

Mir war klar, irgendwas lief da falsch, doch so sehr ich auch grübelte, ich kam einfach nicht darauf. Daher suchten wir nach Unterstützung.

Aufgrund unserer Erzählungen und durch Beobachtung konnte sich die Hundetrainerin recht schnell ein Bild machen. Nikan war durch sein Verhalten im Dauerstress und er fand zu Hause kaum noch Ruhe.

Ich berichtete der Hundetrainerin von meiner bisherigen – leider falschen – Annahme, mein Hund würde den Sozialkontakt suchen. Auch ich war in diesem Irrglauben.

Nikan mag keinen Kontakt zu fremden Hunden und er will nicht wiederholt von jedem gestreichelt werden!

Ich berichtete unserer Hundetrainerin davon und dass unsere Spaziergänge entsprechend ausgerichtet waren. Mein großer Fehler war folgender. Als Nikan ein Welpe war, ließ ich es zu, dass jeder „Fremde“ ihn streicheln durfte. Waren wir unterwegs und begegneten Hundehaltern mit Hund, ließ ich es zu, dass die Hunde miteinander spielten. „Oh, der ist so süß, darf ihr Kleiner mit meinem Hund spielen?“ Okay, dachte ich mir, denn Sozialkontakte sind wichtig. Niemals wäre ich darauf gekommen, dass Nikan weder Streicheleinheiten von Fremden noch Hundekontakte mag.

Nikan gewöhnte sich mit der Zeit daran und sah es als seine Aufgabe an, alles über sich ergehen zu lassen. Mit der Zeit wurden allerdings genau diese Streichel- und Hundekontakte an der Leine immer hektischer. Da Nikan das alles über sich ergehen lassen musste, wollte er wenigstens das Tempo bestimmen können. Dies sah folgendermaßen aus: Nikan zog an der Leine, lief stürmisch auf den Hundehalter zu oder begrüßte den Hund recht turbulent, sprang an den Menschen hoch und bestieg den Hund, egal ob Hündin oder Rüde.  Sein Stresslevel war sehr hoch. 
Anfang dieses Jahres nahmen diese Situationen enorm zu und Nikan stand unter Dauerstress. Dies war der Zeitpunkt, als wir unsere Hundetrainerin kontaktierten.

Nachdem sie dies zu Ohren bekam und wir mehrere Runden miteinander liefen, bekamen wir folgende Aufgaben:

– An der Leine, keine Kontakte mehr zu fremden Artgenossen!
– Streicheleinheiten an der Leine, von fremden Personen, sind verboten
– Viel mehr Ruhepausen zu Hause!
– Zusätzlich begann ich verstärkt, ihm das Markieren stark einzuschränken, da dieses Verhalten ebenfalls seinen Stresslevel erhöhte.

Seit März 2023 halten wir uns an die vorgegebenen Regeln.
Mein Résumé: Es ist erstaunlich, wie positiv sich die Veränderungen auswirken! Nikan Leinen-Zieherei ist fast schon Geschichte. Er ist viel ausgeglichener. Und was ich nie für möglich gehalten hätte: Seit er weiß, er „muss“ nicht mehr zu jedem Hund hin, entwickelt er sich wieder zu meinem ausgeglichenen Bub, und bei einer kommenden Hundebegegnung macht er sogar einen großen Bogen um den Vierbeiner. Und selbst für die Mädels, die bereits von Beginn an ein großes Interesse an Nikan hatten, müssen sie überraschend feststellen, dass Nikan keinerlei Interesse mehr zeigt. Wir haben regelmäßigen Kontakt zu Nikan Schwester „Amy“ und unseren Freunden. Dies ist für Nikan vollkommen ausreichend.

Jedoch, seit ich diese Regeln strikt einhalte, stoße ich auch auf Unverständnis mancher Hundehalter. Erkläre ich ihnen, dass wir ab sofort keinen Hundekontakt mehr möchten, erhalte ich folgende Antwort: „Verstehe ich nicht, unsere Vierbeiner brauchen doch dringend den sozialen Kontakt!“

Nun, dies sind Erfahrungen, die ich mit meinem Hund gemacht habe und die Regeln verhelfen uns zu einer guten und stimmigen Mensch – Hund – Beziehung. Ob sie auf andere Hundehalter mit ihren Hunden zutrifft, das liegt nicht in meinem Ermessen.  Mein Mann und ich sind sehr glücklich darüber, dass Nikan heute viel ausgeglichener ist und unsere Spaziergänge wieder gänzlich harmonisch ablaufen. Vor allem hätte es für Nikan mit der Zeit erheblich gesundheitliche Schäden mit sich bringen können, wäre er noch weiterhin diesem Dauerstress ausgeliefert gewesen.